Fenster zur frühen Evolution der Landwirbeltiere
Mit dem Projekt „Bromacker“ ist jetzt eine neuartige, wissenschaftliche Kooperation an der weltweit einzigartigen Fossillagerstätte „Bromacker“ im Thüringer Wald gestartet. Nach mehr als einem Jahrzehnt gibt es dort erstmals wieder systematische Ausgrabungen und geologische Bohrungen. Aber nicht nur das: Das Ziel der Kooperation ist es, anhand der Fossillagerstätte „Bromacker“ Forschung und Wissensvermittlung so miteinander zu verzahnen, dass die Öffentlichkeit ein Fenster zur frühen Evolution der Landwirbeltiere bekommt. In den kommenden fünf Jahren arbeiten hierfür das Museum für Naturkunde Berlin – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, die Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Nationale GeoPark Thüringen Inselsberg-Drei Gleichen zusammen. Das deutschlandweit einzigartige Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Neue Arten der Wissenschaftskommunikation
Forschende werden geologischen, taxonomischen, paläoökologischen und physiologischen Fragen nachgehen, um in Zukunft das Leben an der Fossillagerstätte „Bromacker“ als Ganzes besser zu verstehen. Mit neuen Arten der Wissenschaftskommunikation nimmt die Öffentlichkeit am Forschen teil und kommt mit Forschenden ins Gespräch. So wird es neben einem Bromacker Lab(oratorium) auch digitale Medien und Führungen zur Ausgrabungsstelle sowie Einblicke in die Live-Präparation und Live-CT-Scans von Fossilien geben. Im Verlauf des Projektes soll es voraussichtlich für Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die Möglichkeit geben, an Forschungsaufgaben mitzuwirken.
„Forschung ist spannender als jeder Blockbuster. Wir öffnen Forschung und stellen Kontakt zu Forschenden her: Nicht erst, wenn die Forschung abgeschlossen ist, sondern schon während der ersten Ausgrabung. Die Bromacker-Fundstelle ist ein unermesslicher Schatz von Millionen Jahre alten, frühen Landwirbeltieren, der nun endlich für die breite Öffentlichkeit aus seinem Dornröschenschlaf geholt wird“, sagt Johannes Vogel, Generaldirektor am Museum für Naturkunde Berlin.
Dreidimensionale Fossilien
„Die Bromacker-Fundstelle ist weltweit einzigartig, wenn es um erstklassig erhaltene, dreidimensionale Wirbeltierfossilien und eine außerordentlich große Artenvielfalt im frühen Perm vor etwa 290 Millionen Jahren geht. Die Ausgrabungen und modernsten Forschungsansätze werden wertvolle Einblicke in die Paläobiologie und Ökologie früher Landwirbeltiere und ihrer Umwelt geben“, sagt Jörg Fröbisch, Professor für Paläobiologie und Evolution und Projektleiter vom Naturkundemuseum. „Wir wollen herausfinden, wie die Evolution von stabilen Ökosystemen funktioniert. Insbesondere die Evolution der frühesten Pflanzenfresser und die darauffolgende Evolution der trophischen Pyramide mit vielen Pflanzenfressern an der Basis und wenigen Top-Prädatoren, also Fleischfressern, an der Spitze, sind von besonderem Interesse.“
„Unser Ziel ist es, den Lebensraum dieser Reptilien und ihrer Nahrung sowie das vorherrschende Klima in diesem von Flüssen, Sümpfen und Seen geprägten Gebiet dreidimensional zu rekonstruieren“, sagt Christoph Heubeck von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Geologische Studien von unseren Mitarbeitenden und Studierenden an den zahlreichen Aufschlüssen der Umgebung, eine detaillierte Kartierung, mehrere Flachbohrungen in der Umgebung der fossilführenden Steinbrüche sowie eine geologische Tiefbohrung im Zentrum des Sedimentbeckens werden dazu beitragen. Die Ergebnisse wollen wir auch in einem dreidimensionalen, interaktiven Computermodell darstellen“, erläutert der Jenaer Geologe.
Wissenschaftskommunikation der Zukunft
„Dieses Projekt verbindet erstmals die Forschungsfelder Naturwissenschaft und Wissenstransfer auf Augenhöhe. Das Projekt hat das Potenzial, deutschlandweit und international ein beispielgebender Ansatz zu werden: Für mehr Dialog über Forschung“, sagt Tobias Pfeifer-Helke, Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, in deren Sammlungen auch die Fossilien der bisher in der Fossillagerstätte entdeckten zwölf Arten von Landwirbeltieren zu Hause sind.
„Direkt in der thüringischen Ausgrabungsstätte soll eine Besucherplattform entstehen, von der das Publikum bei Events und Führungen die Arbeit der Paläontologinnen und Paläontologen verfolgen kann und einen authentischen Blick auf die Arbeitsplätze in einer der weltweit bedeutendsten Fossillagerstätten bekommt“, sagt Syliva Reyer-Rohde, Leiterin des Managementbüros des Nationalen GeoParks Thüringen Inselsberg-Drei Gleichen.
Über den Grabungsort „Bromacker“
Deutschland zeichnet sich durch seine komplexe und vielseitige Geologie aus und beherbergt dazu einige weltweit berühmte Fossilfundstellen verschiedenster Erdzeitalter. Die Fossillagerstätte „Bromacker“ in der unterpermischen Tambach-Formation zwischen den Gemeinden Tambach-Dietharz und Georgenthal im Thüringer Wald ist seit mehr als 100 Jahren bekannt. Sie repräsentiert außerhalb der USA eine der bedeutendsten und produktivsten Fossillagerstätten für Landwirbeltiere (terrestrische Tetrapoden) aus dem frühen Perm von vor etwa 290 Millionen Jahren. Im späten 19. Jahrhundert fanden Forscher zunächst Trittsiegel und Grabspuren.
Thomas Martens, ein Paläontologe vom Museum der Natur in Gotha, fand 1974 erstmals Knochen. Nach der deutschen Wiedervereinigung führte er, gemeinsam mit David Berman und Amy Henrici vom Carnegie Museum in Pittsburgh und Stuart S. Sumida von der California State University, San Bernardino, 1993 bis 2010 jährliche Grabungen durch, die zahlreiche, teils komplette Skelette in einem für Europa einzigartigen Erhaltungszustand lieferten.
Die Bedeutung der Fossillagerstätte „Bromacker“ für die Dokumentation der frühen Evolution von Wirbeltieren an Land ist in ihrem Stellenwert mit anderen herausragenden Fundstellen in Deutschland vergleichbar, zum Beispiel dem UNESCO-Weltnaturerbe Grube Messel und den weltweit bekannten Fundstellen in Holzmaden und Solnhofen.
Info, FSU JENA // Axel Burchardt
Titelfoto, Tambacher Liebespaar_wings © Freistaat Thüringen, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Weimar/Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Foto: Oliver Wings
Zwei Exemplare des reptilienähnlichen Amphibs Seymouria sanjuanensis, auch bekannt als das Tambacher Liebespaar, wurden 1997 am Bromacker entdeckt. Heute befindet sich das besondere Stück in den geowissenschaftlichen Sammlungen der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Diese „Ursaurier“-Art wurde bisher sonst nur in den USA gefunden und gilt als weiterer Beweis dafür, dass die Kontinente Nordamerika und Europa vor 290 Millionen Jahren miteinander verbunden waren.