Rede und Kranzniederlegung durch Oberbürgermeister Thomas Nitzsche
Anlässlich des Gedenkens an die Befreiung aus nationalsozialistischer Gewaltherrschaft vor 77 Jahren gedachten vor der Jenaer Stadtkirche Oberbürgermeister Thomas Nitzsche zusammen mit Stadtratsmitgliedern und Bürgerinnen und Bürgern der Stadt.
Gedenken nicht möglich ohne den Blick auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine
In seiner Rede blickte Oberbürgermeister Thomas Nitzsche zurück auf die schrecklichen Ereignisse im Nazi-Deutschland bis 1945, ohne die aktuellen schlimmen Geschehnisse in der Ukraine aus dem Blick zu lassen:
„Der heutige Gedenktag kann nicht begangen werden, ohne dass der seit zweieinhalb Monaten dauernde Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine in das Bewusstsein kommt. Auch wenn des Endes des 2. Weltkriegs in Deutschland nicht losgelöst vom aktuellen Krieg in der Ukraine gedacht werden kann, so lassen Sie uns vermeiden, dass die Verurteilung der aktuellen Aggression zu einer Geringschätzung der Opfer und Leistungen zur Niederschlagung Nazi-Deutschlands vor 77 Jahren führen.“
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Nitzsche erinnerte daran, dass bereits 1945 das ukrainische Volk als Teil der Sowjetunion mit großem Abstand den größten Blutzoll zu entrichten hatte:
„Die Ukraine hatte mindestens acht Millionen Kriegsopfer, andere Quellen sprechen von insges. gar mehr als 10 Mio. Opfern zu beklagen, darunter über fünf Millionen Zivilisten, Frauen und Kinder, die im deutschen Vernichtungskrieg von der SS oder der Wehrmacht ermordet wurden. Diese schrecklichen Zahlen schließen auch 1,6 Mio. Juden ein, die im häufig zu wenig beachteten Holocaust in der Ukraine durch Kugeln von den Nazis umgebracht wurden.“
Und weiter: „Die Ukraine verlor im deutschen Vernichtungskrieg ein Viertel der Bevölkerung. Von etwa 40 Mio. Kriegstoten in Europa war jedes fünfte Opfer ein Ukrainer oder eine Ukrainerin. Die menschlichen und materiellen Opfer der Ukraine im 2. Weltkrieg werden umso schmerzlicher, ja machen wütend, wenn man die Bilder des russischen Angriffskriegs sieht. Die Erinnerung an das Leid vor knapp 80 Jahren, verursacht durch deutsche Truppen, und das Leid heute sind Motivation zu helfen. Hier vor Ort in unserer Stadt können wir vor allem die geflüchteten Menschen aufnehmen und ihnen in der Zeit des Krieges ein Zuhause bieten. Ich bin außerordentlich dankbar für die große Hilfsbereitschaft in den letzten zwei Monaten!“
Nationalsozialistische Durchdringung in Jena war vielschichtig
Daneben zeichnete Nitzsche ein Bild der nationalsozialistischen Durchdringung in der Stadtgesellschaft in den Jahren um 1945 und danach: „Die nationalsozialistische Durchdringung der Stadt war vielschichtig und tief, angefangen bei der Stadtverwaltung, in der Jenaer Universität, in der Wirtschaft und Industrie wie auch in Vereinen und Verbänden bis in den privaten familiären Bereich hinein. Das Jenaer Kriegsende war kein Tag des Jubels. Apathie und Unsicherheit über die Zukunft waren weit verbreitet. Diese Gefühlslage wurde durch den Umstand verstärkt, dass die Einwohner nicht wussten, welcher Besatzungszone Thüringen künftig angehören würde.“
Kampf gegen nationalsozialistisches Gedankengut als andauernde Aufgabe
Der Oberbürgermeister beendete seine Rede mit dem Blick auf Gegenwart und Zukunft und eine für alle Personen notwendige und andauernde Aufgabe: „Die Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes im Frühjahr 1945 stattfand, ist nicht gleich die Befreiung vom nationalsozialistischen Gedankengut. Dieser Kampf bleibt uns als dauernde Aufgabe. Der Kampf gegen menschenverachtende Werte, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus und Diskriminierung und für unsere Demokratie ist ein fortwährender Prozess. Wir, die Demokraten, müssen einstehen für die Grundwerte unserer Gesellschaft, ausgehend von der Würde eines jeden Menschen. Lassen Sie uns mit diesem Bewusstsein und mit dieser Absicht den Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und an das Ende des Zweiten Weltkrieges lebendig halten!“
Nach seiner Rede und einer gemeinsamen Schweigeminute legte Oberbürgermeister Thomas Nitzsche zusammen mit dem Stadtratsvorsitzenden Jens Thomas einen Kranz vor der Stadtkirche nieder.
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Fotografik: Newsteam Stadt Jena