So wie auf dem Eichplatz in Jena, der Stadt von der hier die Rede ist, wandeln Städte ihr Aussehen im Laufe der Zeit überall auf der Welt. Aus der Gegenwart dennoch einen lebendigen Eindruck der jeweiligen Stadtgeschichte zu vermitteln, der es ermöglicht, mit allen Sinnen in die Vergangenheit einzutauchen, das ist das Ziel von Junior-Prof. Dr. Sander Münster. Der 39-jährige Historiker ist vor kurzem von der TU Dresden an die Friedrich-Schiller-Universität Jena gewechselt und hat hier die neu eingerichtete Professur für Digital Humanities mit Schwerpunkt Bild- und Objektdaten übernommen.
Big Data der europäischen Geschichte
In einem ersten kleinen Lehrprojekt lässt Sander Münster derzeit den historischen Eichplatz im Zentrum Jenas für einen virtuellen Rundgang wieder auferstehen. Der Einsatz von Visualisierungstechnologien zur Erforschung und Vermittlung von Geschichte ist ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit. Und das nicht nur für das vergleichsweise kleine Jena. In einem europäischen Großprojekt wollen Münster und ein Konsortium von mehreren tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern etwa 2.000 Jahre europäische Geschichte lebendig machen (https://www.timemachine.eu). Time Machine – die Zeitmaschine – heißt der wissenschaftliche Verein der zur Umsetzung dieser Vision gegründet wurde und in dem knapp 700 Institutionen aus 34 Ländern Mitglied sind. Sander Münster ist Generalsekretär dieses Vereins und leitet die deutsche Koordinierungsstelle.
„In diesem Projekt geht es darum, mittels großskaliger schneller Digitalisierungsverfahren, historische Wissensbestände zu erfassen und zu erschließen, um sie für Nutzer vierdimensional – also räumlich und zeitlich – erlebbar zu machen und damit im Wortsinne Zeitreisen zu ermöglichen“, erläutert Sander Münster. Das auf zehn Jahre angelegte Forschungsprojekt ziele darauf ab, Big Data der Geschichte zu generieren und die soziale, kulturelle und geographische Entwicklung Europas seit der Antike abzubilden. Jeder Interessierte kann sich damit per Internetbrowser in die Vergangenheit quer über den Kontinent begeben – von Amsterdam über Budapest bis Venedig und Jerusalem.
Forschungsschwerpunkt in Digital Humanities aufbauen
Vor seinem Wechsel an die Universität Jena war Sander Münster in Dresden tätig. An der Technischen Universität hat er Wirtschaft, Geschichte und Pädagogik studiert, bevor er im Bereich Bildungstechnologie promoviert wurde. Seine Doktorarbeit zu virtuellen geschichtswissenschaftlichen 3D-Rekonstruktionen hat er 2014 beendet. Seit 2018 läuft an der Universität Regensburg sein Habilitationsvorhaben zum Thema „Digital 3D technologies for humanities research and education“. Neben seiner akademischen Laufbahn betreibt er seit 15 Jahren auch eine eigene kleine Firma, die wissenschaftliche Visualisierungen und 3D-Simulationen anbietet.
Nach Jena zog ihn unter anderem die starke geisteswissenschaftliche Forschung hier an der Universität, „aus der sich die Digital Humanities speisen.“ Außerdem reizt Münster die Perspektive, hier gemeinsam mit einer weiteren neuen Professur zu Digital Humanities einen größeren Forschungsschwerpunkt für die Universität aufzubauen.
Webkonferenz am 22. Juni
Wie sich lokale und europäische Geschichte lebendig darstellen und für die Fachwelt und die Öffentlichkeit zugänglich machen lässt, das wird auch Thema einer kommenden Webkonferenz sein, die Sander Münster leiten wird. Am 22. Juni um 14 Uhr sind alle Interessierten, insbesondere Thüringerinnen und Thüringer aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft, Tourismus, Museen und Archiven zur Veranstaltung „Digitalisierung und Kulturerbe in Thüringen und Europa“ per Videokonferenz eingeladen.
Info, FSU JENA // Dr. Ute Schönfelder
Fotografik Porträt von Jun.-Prof. Dr. Sander Münster (Foto: Michael Kretzschmar).