Auf den Spuren der Karibujäger: Jenaer Archäologinnen und Archäologen entdecken Steinartefakte in Westgrönland
Expedition 2025 – Neue Funde im Inland der Halbinsel Nuussuaq
Ein Forschungsteam der Professur für Urgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat im Sommer 2025 im Inneren der Halbinsel Nuussuaq im Westen Grönlands bedeutende archäologische Spuren dokumentiert. Erstmals wurden dort Steinartefakte und zahlreiche Siedlungsreste nachgewiesen, die belegen, dass Menschen bereits vor unserer Zeitrechnung in den Sommermonaten ins Inland zogen, um Karibus zu jagen. Die Expedition stand unter der Schirmherrschaft des Grönländischen Nationalmuseums und -archivs und erweitert damit die bisherige archäologische Landkarte der Region deutlich nach Norden.
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Halbnomadische Lebensweise der Inuit
Die Ergebnisse vertiefen das Verständnis der halbnomadischen Lebensweise der Inuit, die jahrhundertelang zwischen Küste und Inland pendelten. In den Wintermonaten stand die Küste mit Fischfang und Jagd auf Meeressäuger im Mittelpunkt, im Sommer hingegen zogen Familien ins Landesinnere, um Karibus zu verfolgen. Während Küstensiedlungen archäologisch gut erforscht sind, blieben Sommerlager und Jagdplätze bislang weitgehend im Dunkeln. Die Jenaer Forschenden konzentrierten ihre Arbeit gezielt auf das Karibujägerlager Nernartuut, was übersetzt so viel wie Ort mit vielen Steinbrechblumen bedeutet, und dokumentierten dort umfangreiche Spuren menschlicher Nutzung.
Fundstätten und Strukturen
Vor Ort fanden die Archäologinnen und Archäologen Reste kleiner Steinmauern, die als Umfassungen für Zelte oder als Windschutz für sogenannte Jägerbetten dienten. Organische Materialien wie Leder oder Holz haben sich in der rauen Umgebung nicht erhalten, doch die erhaltenen Steinstrukturen geben Aufschluss über die Bauweisen und das räumliche Gefüge der Lager. Zudem wurden Karibu-Fanganlagen entdeckt. Diese über hunderte Meter aufgereihten Steinmännchen bildeten führende Strukturen, um Tiere in Seen oder feste Jagdbereiche zu leiten, wo die Fallensysteme und Fanggänge wirkungsvoll arbeiteten. Reste kleiner Steinhaufen markieren Fleischdepots, in denen die Beute gekühlt und konserviert wurde.
Datierung durch Steinwerkzeuge – Hinweise auf frühe Besiedlung
Eine besonders bedeutende Entdeckung waren Steinwerkzeuge, die laut Jenaer Forscherteam Typologien aufweisen, die in die frühe Phase vor 4500 bis 2000 Jahren gehören. Diese Funde liefern einen klaren Hinweis darauf, dass das Gebiet bereits lange vor unserer Zeitrechnung als sommerliches Jagdrevier genutzt wurde. Prof. Dr. Clemens Pasda erklärt dazu, dass die Inuit-Geschichte auf Grönland mindestens zwei größere Einwanderungswellen kennt. Zunächst erreichten Paläo-Inuit um 2500 v. Chr. die Insel, sie verschwanden jedoch später, während die Thule-Kultur, die etwa um 1200 n. Chr. beginnt, die direkte Vorläuferin der heute lebenden Inuit darstellt.
Umfangreiches Dokumentationsprojekt mit 100 neuen Fundpunkten
Die Expedition dokumentierte insgesamt etwa 100 neue Fundpunkte. Die Forschenden fotografierten, zeichneten und katalogisierten Strukturen und Artefakte. Auffällige Stücke, darunter die Steinartefakte, wurden dem Ilulissat Museum übergeben, das die Expedition logistisch unterstützte. Die systematische Aufarbeitung der Befunde ermöglicht nun eine präzisere Rekonstruktion des saisonalen Lebensrhythmus, der Jagdstrategien und der sozialen Organisation der damaligen Gemeinschaften.
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Jahresrhythmus und Mobilität: Familienbewegungen und Subsistenzstrategien
Die Ergebnisse zeichnen ein lebendiges Bild der jährlichen Mobilität. Im späten Frühjahr verlegten ganze Familien ihre Basis per Hundeschlitten ins Inland, um dort größere Zeltlager aufzuschlagen. Frauen nutzten Gewässer in der Nähe zum Fischfang, während Männer zunächst zur Küste zurückkehrten. Im Juli kam es zur Fußwanderung in schneefreie Steppen, wo die Jagd auf Karibus stattfand. Kleinere Lagerplätze entlang der Routen deuten darauf hin, dass Gruppen das zentrale Camp auch für längere Zeit verließen. Mit dem ersten Schnee erfolgte dann die Rückkehr an die Küste, oft wieder per Hundeschlitten, beladen mit Beute.
Wissenschaftliche Bedeutung – Archäologische Landkarte erweitert
Mit den neuen Befunden haben die Jenaer Forschenden die archäologische Landkarte Grönlands nach Norden erweitert. Bisherige Arbeiten konzentrierten sich stärker auf südlichere Regionen. Die nun gewonnenen Daten belegen die Komplexität und Vielfalt der Lebensweisen in der äußersten Westregion Grönlands über mehrere Jahrtausende. Prof. Pasda kündigt an, die Forschungen im kommenden Jahr fortzusetzen, um Fragen zur Chronologie, zur Nutzungsdauer einzelner Lagerplätze und zu Interaktionen zwischen Küsten- und Inlandnutzern noch detaillierter zu klären.
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Info, UNI Jena | Fotos, Clemens Pasda // Universität Jena | Veranstaltungen im Eventkalender
